Forderungspapier Gewaltschutz 09 2023

Forderungspaket zu Gewaltschutz im Kulturbereich

Das Forderungspapier stellt für uns den Beginn einer Diskussion dar und ist nicht als abgeschlossener Prozess zu verstehen. Stand 05.09.2023

 

Gesetzliche Rahmenbedingungen verbessern!

Das geltende Strafrecht bringt für Betroffene von sexualisierten und sexuellen Übergriffen zahlreiche Probleme mit sich. Nach einer Übergriffssituation steht das Wort der verursachenden gegen das der betroffenen Person. Ohne entsprechende Beweise wird eine Anzeige häufig abgewiesen. Gleichzeitig gibt es einen Mangel an geschultem Personal in der Justiz und bei der Polizei, wenn es um diese und andere Themen im Zusammenhang mit Gewalt und Diskriminierung geht, sowie einen Mangel an Gewaltschutzambulanzen. In Kombination mit der nach wie vor bestehenden gesellschaftlichen Stigmatisierung, Übergriffe zur Anzeige zu bringen und zu thematisieren, führt dies dazu, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen Anzeige erstattet und in der Folge die Klagen häufig abgewiesen werden oder es zu Freisprüchen kommt. Nicht erst der Prozess vor Gericht, sondern bereits der oft ungeschulte Umgang bei Polizei, Justiz und anderen Stellen kann zu Retraumatisierungen der Betroffenen führen. Werden Klagen eingestellt oder kommt es zu Freisprüchen, sind Gegenklagen häufig die Folge.

Forderungen:
– Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen: Nur Ja heißt Ja – dazu braucht es entsprechende Änderungen im Strafrecht.
– Schutz vor Verleumdungsklagen bei Betroffenen von sexueller Gewalt
– mehr Unterstützung für Betroffene vor und während Gerichtsverfahren
– Verbesserung und Ausbau der Ausbildung für Justiz und Polizei
– Ausbau und Erweiterung der Öffnungszeiten und Erreichbarkeit von Gewaltambulanzen
– Ausbau bestehender Unterstützungsstrukturen, insbesondere VERA, der Melde- und Unterstützungsstelle bei Machtmissbrauch in Sport, Kunst und Kultur sowie der Struktur der autonomen Frauenhäuser und der bundesweiten und lokalen Helplines (z. B.: Frauenhelpline und Männerberatungseinrichtungen)
– Sensibilisierung aller Stellen und Behörden für die (Diskriminierungs- und Gewalt-)Realitäten, von denen trans-, queere- und inter* Personen betroffen sind
– Schaffung weiterer Unterstützungsstrukturen (z. B.: Heimwegtelefon)
– Mehr Präventionsarbeit: Aktuell richtet sich Präventionsarbeit meist an die Betroffenen. Es braucht aber mehr Präventionsarbeit, die sich an die verursachenden Personen richtet, damit diesen ihre Grenzverletzungen bewusst gemacht werden und die Verantwortung nicht an die Betroffenen abgegeben wird.

Veränderungen bei Förderungen und im Veranstaltungsgesetz!

Weder in den aktuellen Förderrichtlinien noch im Veranstaltungsgesetz gibt es derzeit einen ausreichenden Bezug zum Gewaltschutz. Bei Förderanträgen wird auf (scheinbare) Diversität geachtet, durch das Abfragen von (meist binären) Gendermarkern. Es wird jedoch nicht erfasst, ob Institutionen, Orte und Vereine über eine Gewaltschutzstruktur verfügen. So haben viele große Institutionen nach wie vor keine adäquaten Anlaufstellen innerhalb ihrer Strukturen. Geschulte Anlaufstellen, die in den jeweiligen Strukturen verankert sind, können ein parteiliches Handeln bei Übergriffen gewährleisten. Durch die Sensibilisierung von Mitarbeiter_innen kann Gewalt und Diskriminierung vorgebeugt werden. Und durch individuell angepasste Konzepte, die vor Ort, bei Veranstaltungen und darüber hinaus wirken, kann Sicherheit im Kontext von Gewaltschutz ermöglicht werden.
Diese Aspekte sollen auch in den Veranstaltungsgesetzen der Länder berücksichtigt werden. Nach einer Übergangsfrist sollte es möglich sein, Veranstaltungen ohne entsprechende Gewaltschutzkonzepte nicht zu genehmigen. Darüber hinaus sind Möglichkeiten zu schaffen, dass durch Betroffene über Vertrauensstellen eingebrachte Meldungen von Mängeln und Fehlfunktionen dieser Konzepte in zukünftige Genehmigungsverfahren einfließen können. Damit soll sichergestellt werden, dass Maßnahmen nicht nur auf dem Papier umgesetzt werden.

Forderungen:
– stärkere Berücksichtigung von Gewaltschutzkonzepten bei Förderungen
– ab 2024 jährlich schrittweise stärkere Gewichtung von Gewaltschutzaspekten und Antidiskriminierungsstrukturen bei der Bewertung von Einreichungen
– ab 2026 verpflichtende Berücksichtigung von Gewaltschutzkonzepten bei der Vergabe von Fördermitteln in einem dem Vorhaben entsprechenden Umfang
– Schaffung eines Anti-Gewalt-Paragraphen, der eine Zusammenarbeit mit gewalttätigen Strukturen (Drogenhandel, Mafia, Rechtsrocker, etc.) ausschließt
– Änderungen/Anpassungen im Veranstaltungsgesetz
– Erarbeitung der genauen Formulierungen und Kriterien gemeinsam mit Personen aus Gewaltschutzstrukturen wie den autonomen Frauenhäusern, dem Weißen Ring sowie Vertrauensstellen wie VERA und unter Einbeziehung der Interessensvertretungen im Kulturbereich im Laufe des Jahres 2024, Beginn 2025

Generell halten wir es auch an dieser Stelle für notwendig darauf hinzuweisen, dass ein massiver Ausbau der Förderstrukturen im Kulturbereich, insbesondere für die Arbeit der freien und autonomen Kulturszene(n), notwendig ist. Zudem ist der Aufwand gerade für kleine Förderanträge unverhältnismäßig hoch, hier braucht es eine Entbürokratisierung. Ebenso muss es möglich sein, dass auch “neue” Interessensvertretungen eine Basisförderung nach transparenten Kriterien erhalten, um sich an den notwendigen partizipativen Prozessen beteiligen zu können.

Bildungsarbeit ausbauen und fördern!

Strukturen gegen Gewalt und Diskriminierung fallen nicht vom Himmel. Es gibt derzeit nur wenige Institutionen, Vereine und Orte, die über umfassende und gute Konzepte verfügen. Wenn Awarenessstrukturen bei Großveranstaltungen, emanzipatorsiche Sicherheitskonzepte, Anlaufstellenkonzepte innerhalb von Organisationen sowie generell eine Verankerung von Gewaltschutz Praxis werden sollen, dann braucht es entsprechende Ausbildungs- und Begleitmodelle. Derzeit wird diese wichtige gesellschaftliche Arbeit weitgehend von einigen wenigen unter prekären Bedingungen verrichtet und von den betreffenden Strukturen meist eigenständig finanziert. Während es für kommerzielle Kultureinrichtungen und deren Angestellte zumindest teilweise Zugang zu Weiterbildungsförderungen gibt, fehlt es an geförderten Angeboten für gemeinnützige Strukturen. Hier gibt es ein Interesse, aber fehlende Mittel. Im Sinne der Prävention und zur strukturellen und nachhaltigen Verbesserung sind daher entsprechende Förderungen notwendig, damit das Bildungsangebot ausgeweitet werden kann.

Forderungen:
– Förderung der Bildungsarbeit zu Gewaltschutz im Kulturbereich
– Umsetzung von Modellprojekten für den Kulturbereich auf Bundesebene bereits 2023
– Förderausschreibungen in allen Bundesländern für mehrere Bildungsprojekte sowie langfristige Strukturförderung
– Schaffung und Förderung von Strukturen, die gemeinnützigen Trägern und Vereinen einen kostenfreien Zugang zu Bildungsangeboten ermöglichen
– Wenn es viel mehr Awarenessarbeit (wie zuletzt oftmals politisch gefordert) und damit verbundene gute Konzepte geben soll, dann muss diese Arbeit auch gefördert und im Sinne von Fair Pay bezahlt werden.
– Verankerung von verpflichtenden Bildungsmodulen bereits in der Schule, beispielsweise in Form von einem zweitägigen Projektmodul pro Schulstufe und bei Lehr- und Berufsausbildungen ab der 6. Klasse

Arbeitsbedingungen verbessern!

Viele Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, tun dies ehrenamtlich oder in prekären Arbeitsverhältnissen. Clubkultur ist oft Nachtarbeit. Es sind häufig anstrengende, laute und (wenn überhaupt) schlecht bezahlte Tätigkeiten. Sicherheitskräfte im Kultur- und Veranstaltungsbereich sind oft schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt. Gesellschaftlich wird Sicherheitsarbeit meist eher als Mittel zum Zweck gesehen und nicht als die komplexe und von vielschichtigen Verantwortungen geprägte Arbeit, die Securities leisten müssen. Awareness-Arbeit ist noch nicht weit verbreitet und bestehende Standards werden noch nicht durchgängig umgesetzt. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, nicht nur für diejenigen, die für die Sicherheit verantwortlich sind, sondern für alle, die in der Nacht und generell im Kulturbereich arbeiten. Gute Arbeitsbedingungen sind auch Teil des Gewaltschutzes, da sich Menschen in weniger prekären Situationen auch leichter gegen Machtmissbrauch in Arbeitsverhältnissen wehren können. Zudem kommt es zu weniger Fehlern und Überlastungen, wenn Menschen nicht ökonomisch dazu gezwungen sind, viele und oft lange (Nacht-)Schichten hintereinander zu arbeiten, was derzeit die Arbeitsrealität ist. Management- und Führungsstrukturen können oft dazu beitragen, strukturellen Machtmissbrauch und Diskriminierung zu perpetuieren.

Forderungen:
– bessere Bezahlung und Ausbildung von Awareness- und Sicherheitskräften
– Verpflichtung von allen mit Awarenessarbeit Betrauten, die vom Awareness-Institut (Dachverband im deutschsprachigen Raum) festgelegten Standards mitzutragen und umzusetzen
– bessere Schulung des Sicherheitspersonals zu Gewalt und Diskriminierung
– kostenlos zugängliches Fortbildungsprogramm
– ausreichend Teambesprechungen, Intervision und Supervision
– regelmäßige Fortbildungen, insbesondere für Security & Awareness-Leute
– klare Richtlinien für Ausbildung von Personen, die im Clubkultur- und Nachtgastro-Bereich arbeiten
– Verpflichtung zu Weiterbildungs- und Schulungsprogrammen für Veranstaltungsräume ab einer Größe von 100 Personen
– Stärkung von gewerkschaftlichen und Selbstvertretungsstrukturen in prekären Arbeitsfeldern
– Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Nachtgastronomie & Nachtarbeit

 

Betroffene supporten & Verantwortung übernehmen!

Als Teil der Community, der Szene(n) und der Kultur reicht es nicht, wenn Politik und Gesellschaft einen konsequenten und solidarischen Umgang mit Fällen von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt fordern; wir müssen ihn selbst leben. Innerhalb der Clubkultur und der Kulturarbeit im Allgemeinen gibt es bereits viele gute Konzepte und Umgänge. Diese Praxis muss geteilt und weiterentwickelt werden. Gemeinsam gilt es, sich mit Gewalt und Diskriminierung und den damit verbundenen Ausgrenzungen und Benachteiligungen auseinanderzusetzen und diesen gemeinsam entschieden entgegenzutreten. Betroffene sollten einen Rahmen vorfinden, in dem es ohne Stigmatisierung möglich ist, über Erlebtes zu berichten. Ergänzend braucht es gut organisierte Strukturen, die Unterstützung, aber auch Arbeit mit den Verursachern ermöglichen. Dabei gibt es viele Konzepte, die vor allem von BIPOC und Queer Communities in den USA, indigenen Communities und queeren und feministischen Kontexten im deutschsprachigen Raum entwickelt wurden (etwa “community accountability”, Arbeit mit gewaltausübenden Personen). Gemeinsam muss an einer Gesellschaft gearbeitet werden, in der Verantwortung für eigenes Handeln und Fehler übernommen wird und kollektives Lernen möglich ist. Wo Grenzen überschritten werden, gilt es parteilich zu handeln und die Betroffenen zu unterstützen. Als Unterzeichnende sehen wir dies als Teil unserer Verantwortung.

Das bedeutet:
– Betroffene unterstützen, parteilich handeln!
– Unterstützungsstrukturen schaffen
– mit verursachenden Personen arbeiten (konsequent und mit geeigneten Konzepten)
– als Communitys und Szene(n) dafür sorgen, dass Gewalt beendet wird
– Es gibt keine sicheren Räume, Verantwortung für Fehler und Probleme muss in Strukturen übernommen werden.
– “Braver Spaces” schaffen, also Räume, in denen es möglich ist, Widersprüche sowie Probleme anzusprechen und in denen Solidarität praktisch gelebt wird
– solidarisch sein mit gesellschaftlichen Gruppen, die von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind, und Aufklärungsarbeit/Bewusstseinsbildung für verschiedene Diskriminierungsformen (Sexismus, Ableismus, Rassismus, …) betreiben
– gemeinsam gegen Unterdrückung, Gewalt und Diskriminierung vorgehen
– Förderung von Bildungsangebot: Transformative Justice and Community Accountability und Awareness Workshops, verpflichtend für Menschen, die in der Clubkultur tätig sind








     

     

     


    Stimmen aus der Clubkultur: Forderungen zu #technometoo
    IG Clubkultur, AwA* (Wien), awa_graz (Graz) und das EAT network (Innsbruck) präsentieren im gemeinsamen Gespräch ein Forderungspapier zu Gewaltschutz im Kulturbereich.

    Seit einigen Wochen ist eine Vielzahl von Übergriffen im Clubkulturbereich thematisiert worden und auch medial publik geworden. Dank aktivistischer Arbeit werden Missstände, die es schon lange gibt, endlich sichtbar gemacht. Als Strukturen, die zu diesen Themen dauerhaft arbeiten, wollen wir Perspektiven und Forderungen zu sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch und Betroffenensupport einbringen. Die veröffentlichten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs und zeigen die Notwendigkeit eines strukturellen Wandels auf. Daher laden wir zu einem Gespräch ein, in dem wir unsere Forderungen an Politik, Verwaltung und auch an unserer eigenen Szene(n) präsentieren wollen sowie einen Diskussionsrahmen über die Clubkultur mit Blickpunkten aus verschiedenen Städten (Graz – Innsbruck – Wien) bieten möchten.

    Datum: Dienstag, 05.09.2023
    Uhrzeit: 10h30 – 12h
    Ort: Venster 99 – Stadtbahnbögen 99 – 1090 Wien

    Auf Nachfrage (e-mail an press@clubkultur.org) kann auch Zugang zu einem Web-Stream zum Termin gegeben werden.

     

    Voices from club culture: demands related to #technometoo
    IG Clubkultur, AwA* (Vienna), awa_graz (Graz) and the EAT network (Innsbruck) together present a demand paper on the protection against violence in the cultural sector.

    In the last few weeks, numerous assaults in the club culture sphere have become a topic of discussion and have also been publicized in the media. Thanks to activist work, abuses that have existed for a long time are finally being made visible. As structures that work on these issues on a permanent basis, we want to bring perspectives and demands on sexualized violence, abuse of power, and support for those affected. The published cases are only the tip of the iceberg and show the need for structural change. Therefore, we invite you to a discussion in which we want to present our demands to politics, administration, and also our own scene(s) as well as offer a discussion framework about club culture with perspectives from different cities (Graz – Innsbruck – Vienna).

    Date: Tuesday, 05.09.2023
    Time: 10h30 – 12h
    Venue: Venster 99 – Stadtbahnbögen 99 – 1090 Vienna

    Language of the Talk will be German, all demands will later be also published in english.

    On request (e-mail to press@clubkultur.org), access to a web stream of the appointment can also be given.